Es gibt nur noch wenige Struther die sich an Weihnachten des Jahres 1945 erinnern können. Man muss wenigstens 80 Jahre alt sein, um noch eine lebendige Erinnerung daran zu haben. Bernward Seipels Vater hat seine Erinnerungen vom Hl. Abend 1944 in einer wundervollen Weihnachtsgeschichte aus seiner Heimat Schlesien erzählt und sie war für Bernward Seipel der Einstieg in sein Buch über die Ereignisse in Struth im April 1945.
Weihnachten 1945 hat sein Vater bei einer Mühlhäuser Familie verbracht, wohin es ihn im Dezember 1945 verschlagen hatte. Doch lesen Sie selbst aus dessen Lebenserinnerungen:
„In Mühlhausen angekommen, erinnerte ich mich, in Bernburg im Lazarett einen
verwundeten Leutnant als Bettnachbar gehabt zu haben, welcher mir erzählt hatte, dass er
aus Mühlhausen stamme, er eine Frau von Schlesien hätte und sein Stiefvater, ein gewisser Bauingenieur Schellhaas sei und ebenfalls in Mühlhausen wohne. Die Eltern meines Begleiters in Mühlhausen fanden tatsächlich heraus, wo dieser Herr Schellhaas wohnte.
Er wohnte in Mühlhausen in der Karlsstraße, wo ich ihn aufsuchte. Er lud mich mit seiner Frau am ersten Weihnachtstag zum Mittagessen ein, wo ich das erste Mal in meinem Leben Thüringer rohe Klöße essen konnte. Er erzählte mir dabei, dass sein Stiefsohn, also der Leutnant Georg Hoffmann noch in russischer Gefangenschaft sei und versuchen würde, wenn er entlassen würde, in den Westen zu gehen, da er sich hier ganz bestimmt nicht sicher fühlen würde.
Herr Schellhaas war ein Mann, der auf Grund seines Berufes alle möglichen Leute kannte. Er kümmerte sich um mich, beschaffte mir eine Wohnung im Petristeinweg bei der Familie Baier. Er sorgte dafür, dass ich einen Ausweis bekam und erreichte, dass ich am Mühlhäuser Bahnhof im Winter Arbeit als Schneeschipper, Kohlenträger oder Ähnliches bekam.“
Bernward Seipel: Nachdem ich die Arbeit an meinem zweiten Band „Preußens Glanz in Eichsfelds Gloria“ Das Ende einer Epoche – Struth im April 1945 abgeschlossen hatte, erreichte mich eine Lebenserinnerung an den 7. April 1945, die von dem Kampf um das Sägewerk in Struth berichtete. Da die erste Auflage meines Buches vergriffen war, beschloss ich mich an die Herausgabe einer zweiten Auflage zu wagen, die nun in deutlich erweiterter Form vorliegt.
Bei der Bearbeitung der Neuauflage meines Buches habe ich mich etwas ausführlicher mit den konkreten Kampfhandlungen in Struth am 7. April 1945 beschäftigt. Der Angriff auf Struth wurde in erster Linie von der Pionierbrigade 688 unter Führung des Ritterkreuzträgers Major Edzard von Reden vorgetragen. Das in Struth am 4. April stationierte 3. Bataillon, des 261. US-Infanterieregiments, verfügte an schweren Waffen lediglich über zwei sogenannte M10 – Panzerzerstörer, die sich vermutlich auf dem Gelände des Fahrzeugparks des Bataillons nordwestlich am Rande von Struth befunden haben könnten.
In der Schilderung des Struthangriffs spielt einer der beiden Panzerzerstörer eine große Rolle. Er verhindert nämlich, nach Aussage des Majors von Reden, das weitere Eindringen seiner Pioniere in das Dorf Struth. Dieser M10, ausgestattet mit einer 90mm Kanone befand sich, nach Aussage des Majors, in einer Linkskurve 200 Meter vom Bataillonsgefechtstand der Amerikaner (Lange Straße 26) entfernt.
Da ich den Bericht vor Erscheinen meines Buches nicht kannte, habe ich mir Gedanken
darüber gemacht, wo dieser M10 in Struth gestanden haben könnte. Dabei bin ich darauf gestoßen, dass er nur im Bereich des Hauses von Bäcker Isidor Hahn (Lange Straße 35) gestanden haben kann, da von dort aus in beide Richtungen der damaligen Adolf-Hitler-Straße freie Sicht bestand und ein Beschuss in beide Richtungen möglich war. Der M10 wurde von den angreifenden Pionieren mit einer Panzerfaust beschossen und konnte nicht mehr weiterfahren, aber weiterschießen, so berichtet es zumindest Edzard von Reden.
Das einzig bekannte Foto aus dem brennenden Struth stammt von Frank Ceniceros und ist in dem Buch von Eduard Fritze in “Die letzten Kriegstage im Eichsfeld und im Raum Mühlhausen vom 3. – 10. April 1945“ mit der Bildunterschrift versehen “Nach Kampfende – amerikanische Truppenkonzentration im brennenden Struth“. Ich habe dieses Foto als Titelfoto meines o.g. Buches verwendet, ohne zu wissen, was für eine Geschichte dieses Foto erzählt. Ich fand es einfach zum Thema meines Buches passend und habe das Konterfei der „englischen Prinzessin“ hinzugefügt.
Vielleicht erzählt das Foto aber auch eine andere Geschichte? Was war am Morgen des 7. April 1945 geschehen? Der Angriff der Pionierbrigade 688, beteiligt waren nur 2 Kompanien, die restlichen zwei oder drei verharrten als Reserve im Wilhelmswald, war
mit Unterstützung zweier Hetzer-Panzer bis in unser Dorf Struth vorgedrungen. Während ein Hetzer am Dorfrand sichernd verweilte, setzte der andere, die angreifenden Pioniere unterstützend, seinen Vormarsch auf Struth fort, und tauchte bald in der Adolf-Hitler-Straße in unmittelbarer Nähe des US-Bataillonsgefechtstandes auf.
Ein Einwohner von Struth wies dem Hetzer-Kommandanten, Feldwebel Richard Krieg, den Weg zur richtigen Hausnummer, Nr. 26, bei Jakob Vollmer, und dort wurde eine
Hohlladung gezündet, die aber nicht ganz die ihr zugedachte Wirkung erzielte und nur Sachschaden am Gebäude anrichtete. In dem Haus befand sich auch Robert Cardinell, 2. Leutnant im 3. Bataillon des 261. Infanterieregiments, als Nachrichtenoffizier dem Bataillon angehörig und bataillonsdiensthabender Offizier in dieser Nacht.
Die bekannte Version über den Abschuss des Hetzer-Panzers stammt aus der Feder von Robert Cardinell. Doch es gibt noch eine andere Version, die mir bisher noch nicht in den Blick geriet. Sie stammt von Leo Serian, (von dem ich tatsächlich noch ein Foto im Internet gefunden habe) Co. K,261st (K-Kompanie des 261. US-Infanterieregiments). Sie bringt zwar auch nicht mehr Klarheit überden Ablauf der Operation, erwähnt aber einige Details, die bisher so nicht bekannt waren.
So könnte es sich bei der Aufnahme vom brennenden Struth auch um jenen von Edzard von Reden abgeschossenen Panzerzerstörer handeln, der den Angriff der deutschen Wehrmacht im Dorfinneren zum Stehen brachte und der in einem dramatischen Gefecht den deutschen Hetzerpanzer außer Gefecht setzte. Die Spur des Majors Edzard von Reden verliert sich nach dem Krieg. Sein 1929 erworbenes Gut bei Morsleben in der Nähe von Helmstedt verlässt er vermutlich beim Einmarsch der Russen und im Internet finden sich keine weiteren Spuren mehr über seine Person.
Edzards von Redens Schilderung über den Angriff der Pionierbrigade 688, habe ich in der Neuauflage meines o.g. Buches ein eigenes Kapitel gewidmet, und mich darüber gefreut, dass die Momentaufnahme vom brennenden Struth eine noch nicht erzählte Geschichte zeigt, die 75 Jahre darauf warten musste erzählt zu werden.
Ob die Geschichte so stimmt, wie ich sie erzähle, weiß ich natürlich nicht. Aber sie würde zu den Ereignissen des 7. Aprils 1945 passen. Hubert Tasch (87) erzählte mir diese Tage, dass nach 1945 zu allen privaten und vielen anderen Anlässen die Erlebnisse der Struther am 7. April 1945 immer ein Thema waren und jeder genau wusste, wie sich alles ereignet hatte. Und jeder hatte natürlich recht und kannte die „Wahrheit“.
Heute wissen wir, dass es die eine Wahrheit nicht gibt. Jeder hat seine eigene Wahrheit und die ist immer von subjektiven Erfahrungen geprägt. Lassen wir es dabei.
Bernward Seipel
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