In den letzten Jahren hat sich das “Du” in der deutschen Sprache immer mehr durchgesetzt – in der Werbung, in sozialen Medien und sogar in offiziellen Mitteilungen vieler Unternehmen. Es vermittelt Nähe, Modernität und eine vermeintlich lockere Atmosphäre. Doch nicht immer ist das “Du” die richtige Wahl. In manchen Situationen kann es unangebracht, respektlos oder sogar abschreckend wirken.

Stellenausschreibungen: Nicht jeder Bewerber ist ein Schüler

Ein besonders auffälliger Bereich, in dem das “Du” mittlerweile dominiert, sind Stellenausschreibungen. Formulierungen wie “Wir suchen Dich für unser Team!” oder “Du hast Lust auf eine neue Herausforderung?” sollen Bewerber direkt ansprechen und das Unternehmen sympathisch erscheinen lassen. Doch was ist mit Fach- und Führungskräften oder Bewerbern, die jahrzehntelange Erfahrung mitbringen? Für sie kann diese Art der Ansprache unangemessen oder sogar herablassend wirken. Wer eine Position für Berufseinsteiger oder Praktikanten ausschreibt, mag mit dem “Du” richtig liegen – bei einer Stellenausschreibung für eine leitende Position oder für erfahrene Fachkräfte ist das “Sie” jedoch oft die bessere Wahl.

Kurse und Weiterbildungen: Das “Sie” schafft Distanz und Professionalität

Ein weiterer Bereich, in dem das “Du” nicht immer passend ist, sind Bildungsangebote und Weiterbildungen. Während Freizeitkurse oder Workshops für Jugendliche oft im lockeren Ton gehalten werden, erwarten viele erwachsene Teilnehmer eine professionelle Ansprache. Ein “Sie” signalisiert Seriosität, Respekt und schafft eine neutrale Ausgangslage zwischen Kursleitung und Teilnehmern. Wer sich beispielsweise für eine Weiterbildung zur Führungskraft anmeldet, könnte sich über eine allzu kumpelhafte Ansprache irritiert fühlen.

Öffentliche Verwaltung und offizielle Kommunikation

Auch in Ämtern und Behörden ist das “Du” fehl am Platz. Bürger erwarten hier eine neutrale, respektvolle Kommunikation. Ein Finanzamt, das seine Schreiben mit “Hallo, Du hast noch Steuern zu zahlen” beginnt, wäre kaum vorstellbar. Das “Sie” bleibt in der öffentlichen Verwaltung ein Zeichen der Seriosität und angemessenen Distanz.

Kundenservice und Geschäftskorrespondenz: Anpassung ist gefragt

In der Geschäftswelt kommt es auf den Kontext an. Während manche Unternehmen ihre Kunden bewusst duzen, weil es zur Marke passt (z. B. in der Start-up-Szene oder bei bestimmten Lifestyle-Produkten), erwarten andere Zielgruppen ein professionelles “Sie”. Ein Versicherungskonzern, eine Bank oder ein B2B-Unternehmen sollte sich genau überlegen, ob das “Du” wirklich die beste Wahl ist – oder ob es potenzielle Kunden verschreckt.

Die richtige Balance finden

Sprache ist im Wandel, und das “Du” ist in vielen Bereichen eine legitime Wahl. Doch es gibt Kontexte, in denen das “Sie” nach wie vor angebracht ist – aus Respekt, aus Professionalität oder einfach, um eine breitere Zielgruppe nicht auszuschließen. Unternehmen und Organisationen sollten sich bewusst machen, welche Wirkung ihre Ansprache hat und ob das “Du” wirklich zu ihrer Zielgruppe passt. Nicht jeder möchte geduzt werden – und nicht jeder fühlt sich mit einem zu lockeren Tonfall wohl. Ein bewusster Umgang mit Sprache zeigt Wertschätzung und Sorgfalt – Werte, die in einer zunehmend informellen Welt umso wichtiger sind.

Ilka Kühn