Thüringen. Der Rechtsextremismus war 2021 die größte Herausforderung für die Demokratie in Thüringen: Das Anhängerpotenzial ist um zirka 90 auf 2.270 Personen angewachsen, rund 350 Personen davon weisen inzwischen eine signifikante Gewaltneigung auf. In besonderem Maße strebten Rechtsextremisten nach Anschluss an bürgerlich-demokratische Kreise. Sie versuchten, das heterogene Protestgeschehen gegen staatliche Maßnahmen zur Pandemieeindämmung interessengelenkt zu vereinnahmen.
Ihre Taktik: An Sorgen und Ängste der Menschen andocken, ideologische Versatzstücke und Verschwörungserzählungen bedienen, um so den Staat, seine Repräsentanten und ihr Handeln als illegitim oder fremdbestimmt abzuwerten. Oftmals wurde die Protestmobilisierung mit der Aufforderung zum Widerstand verbunden.
Der seit März 2021 als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuften AfD Thüringen kam bei nicht angemeldeten Protesten, sogenannten Corona-Spaziergängen, eine prägende Rolle zu. Auffällig war ein Interagieren von Rechtsextremisten, „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ sowie dem neuen Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates. Dieser Bereich bezeichnet einen Extremismus eigener Art, der basierend auf Verschwörungserzählungen „dunkle Mächte“ für gesellschaftliche Prozesse verantwortlich macht. Seine Anhänger lehnen die Verbindlichkeit bestehender demokratisch legitimierter Verfahren und Institutionen ab. Durch zielgerichtete Verächtlichmachung des demokratischen Systems soll seine Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden. Die Akteure setzten dabei auf Radikalisierung und Mobilisierung der Bevölkerung. Hierfür nutzen sie insbesondere Krisensituationen, wie die Corona-Pandemie.
Etwa 770 Personen waren 2021 in Thüringen den „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ zuzurechnen. Ihre gebiets- und geschichtsrevisionistischen Auffassungen münden in eine rigorose Ablehnung des bestehenden politischen Systems. Diese entlädt sich in – oftmals gewaltsamen – Widerstand. Dass sich das von diesem Spektrum ausgehende Gefährdungspotenzial seit 2021 fortentwickelt hat, zeigten jüngst die bundesweiten Razzien, die auch in Thüringen zu Durchsuchungen und Verhaftungen führten.
Das Zusammenspiel unterschiedlicher extremistischer Akteure, gestützt auf die Verbreitung von Desinformation, war 2021 deutlich ausgeprägt. Ausdruck fand dies auch durch eine zunehmende Vernetzung auf Social-Media-Plattformen und bei Messenger-Diensten.
Darüber hinaus sind in Thüringen weiterhin Anhänger islamistischer Personengruppen vertreten. Das Potenzial der eher losen Anhängerschaft war leicht rückläufig. Von den gut 170 Islamisten waren zirka 120 der Strömung des Salafismus zuzurechnen. Ein gewisser Bedeutungsgewinn zeichnete sich bei legalistischen islamistischen Personenzusammenschlüssen, wie der Missionierungsbewegung „Tablighi Jama´at“ oder der „Muslimbruderschaft“, ab.
Der auslandsbezogene Extremismus der „Arbeiterpartei Kurdistans“ zählte unverändert zirka 130 Anhänger in Thüringen. Seit langem sind die hiesigen Parteistrukturen Teil eines bundesweiten Organisationsgefüges. Sie wirken auch an den jährlichen Spendenkampagnen mit, die unter anderem zur Finanzierung der im Ausland ansässigen Guerillaeinheiten dienen.
Die linksextremistische Szene Thüringens ist überregional vernetzt und in bundesweite Zusammenhänge eingebunden. Das gewaltorientierte Teilspektrum der „Autonomen“ beläuft sich konstant auf zirka 130 Personen. Dem bundesweiten Trend folgend, verzeichnete der linksextremistische Verein „Rote Hilfe e. V.“ auch hierzulande einen Mitgliederzuwachs. Im April und Mai 2021 erlangten mehrere in Thüringen verübte, mutmaßlich linksextremistisch motivierte Gewaltstraftaten – auch gegen Personen – bundesweite Aufmerksamkeit. Sie stehen exemplarisch für eine zunehmende Radikalisierung im gewaltorientierten Linksextremismus.
Nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberangriffe fremder Staaten auf die Kritische Infrastruktur und relevante Wirtschaftsunternehmen, staatlich gelenkte Einflussnahmeversuche durch Desinformation sowie Proliferation bildeten Schwerpunkte des Bereiches Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz. Im Vordergrund standen hierbei Information und Sensibilisierung potenziell betroffener Unternehmen und Forschungseinrichtungen.
Daniel Baumbach, Pressesprecher Innenministerium