Fünf Liter Blut werden den Pferden jede Woche zweieinhalb Monate lang abgezogen. Foto: Animal Welfare Foundation

Animal Welfare Foundation, der Deutsche Tierschutzbund, die Eurogroup for Animals und vierzehn weitere Tierschutzorganisationen reichen Beschwerde bei der Überwachungsbehörde der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) ein. Anlass sind nach Auffassung der Antragsteller die umstrittenen Blutfarmen in Island, die gegen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geltendes Gesetz verstoßen.

Im November 2021 offenbarten Recherchen der Animal Welfare Foundation systematische Tierschutzprobleme auf isländischen Blutfarmen. Dort wird tragenden Stuten Blut entnommen, um daraus das Hormon Pregnant Mare Serum Gonadotropin (PMSG) zu gewinnen. Das Hormon wird in der industriellen Tierzucht eingesetzt, um die Fruchtbarkeit sogenannter „Nutz“tiere zu steigern und die Produktionsschritte (künstliche Befruchtung, Geburt, Mast, Schlachtung) zu synchronisieren und damit effizienter zu machen.

Um den halbwilden Stuten Blut abnehmen zu können, werden sie mit Gewalt in primitiven Holzboxen fixiert. „Das löst bei Fluchttieren Panik aus. Sie wollen der Zwangssituation entkommen und schlagen mit Kopf und Beinen wild um sich. Die Fixierboxen werden so zur Verletzungsfalle“, berichtet Sabrina Gurtner, Projektleiterin bei der Animal Welfare Foundation, von ihren Eindrücken in Island. Die Blutabnahme geschieht über einen Zeitraum von zehn Wochen. Einmal pro Woche werden den trächtigen Tieren fünf Liter Blut abgenommen. Das übersteigt alle internationalen Richtlinien und Empfehlungen für Blutentnahmen bei Pferden.

Rechtlich gesehen werden Blutentnahmen zur Herstellung von Arzneimitteln als Tierversuche eingestuft. Islands Rechtsvorschriften zum Schutz von Tieren, die für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden, unterliegen der Richtlinie 2010/63/EU. Die Beschwerde verweist u. a. darauf, dass diese EU-Richtlinie nicht eingehalten wird. Als Mitglied der EFTA muss Island die Vorschriften des Europäischen Wirtschaftsraums befolgen.

In der Beschwerde wird darauf hingewiesen, dass die Blutentnahme für die Gewinnung von PMSG von den isländischen Behörden nicht genehmigt werden sollte, da sie gegen das 3R-Prinzip (Replacement, Reduction und Refinement) verstößt. Darauf beruht die im EWR geltende EU-Richtlinie und damit das isländische Gesetz zum Schutz von für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tieren. „Das 3R-Prinzip legt fest, dass Tierversuche, wann immer möglich, durch alternative, tierfreie Methoden zu ersetzen sind“, erklärt Dr. Esther Müller, Geschäftsführerin Wissenschaft beim Deutschen Tierschutzbund.

Im Fall von PMSG gibt es diese Alternativen. Allein für den deutschen Markt nennt die deutsche Bundesregierung 36 synthetische Alternativprodukte. Eine höhere Fruchtbarkeit lässt sich auch durch artgerechtere Haltung und hormonfreie Methoden erzielen, wie sie in der ökologischen Landwirtschaft angewandt werden. „Nach der Veröffentlichung der Recherchen in Island hat der Verband der Schweizer Schweinezüchter erklärt, dass er freiwillig auf den Einsatz von PMSG verzichten wird. Damit bestätigt er, dass ein Umstieg möglich ist. Andere Länder werden dem Beispiel folgen, was erste Reaktionen aus den Niederlanden, Dänemark, Polen und Österreich zeigen“, so Sabrina Gurtner.

Die isländischen Behörden werten Blutentnahmen für die PMSG-Produktion nicht als Tierversuch. Unter dieser Betrachtung fiele dieses Vorgehen nicht unter die EU-Rechtsvorschriften und bedürfe keiner Genehmigung. Die EU-Behörden wie auch die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) haben jedoch wiederholt das Gegenteil festgestellt: Verfahren, bei denen Tiere zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden, werden als Tierversuche eingestuft.

Die EU ist der wichtigste Absatzmarkt für isländisches PMSG. Das Hormon wird unter grausamen Bedingungen hergestellt und unterstützt die nicht nachhaltige Massentierhaltung. Dies steht im Widerspruch zu den Zielen des Europäischen Green Deals und insbesondere der Farm-to-Fork-Strategie. Diese jetzt eingereichte Beschwerde dient dem Ziel, die Produktion und Einfuhr des Hormons PMSG zu verbieten. Ein Ziel, das das Europäische Parlament bereits in seiner Entschließung vom 20. Oktober 2021 mit großer Mehrheit von der EU-Kommission einfordert.

Hintergrund:

Bei Recherchen über Pferdefleischimporte aus Qualproduktion in Argentinien und Uruguay stieß die Animal Welfare Foundation 2015 auf Blutfarmen. Das Hormon PMSG ist international auch als eCG (equine chorionic gonadotropin) bekannt. Es wird zur Taktung und Steigerung der Fruchtbarkeit eingesetzt, hauptsächlich bei Sauen, aber auch bei anderen „Nutz“tieren.

Mehrere Pharmaunternehmen haben nach dem Skandal um Blutfarmen in Uruguay und Argentinien den Import von PMSG aus Südamerika gestoppt und beziehen PMSG derzeit aus Island. Dort wird seit rund 40 Jahren Blut von trächtigen Stuten entnommen. Im letzten Jahrzehnt hat sich das Geschäft verdreifacht. Das isländische Pharmaunternehmen Ísteka kauft Blut von unabhängigen Farmern auf, betreibt aber auch eigene Blutfarmen und besitzt hunderte Stuten. 2020 betrug der Umsatz von Ísteka rund 11 Millionen Euro. Ein Ausbau der Produktionsleistung wurde vor Kurzem genehmigt. Er sieht eine Vervierfachung vor.

Im November 2021 veröffentlichte die AWF eine Recherche über die grausamen Bedingungen, unter denen Stuten in Island Blut abgenommen wird. Das führte zu einem nationalen Skandal. Aktuell wird darüber debattiert, ob PMSG in Island weiterhin gewonnen werden soll.