Mehr als 800 Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Apotheker und ihre Teams haben heute vor
dem Thüringer Landtag in Erfurt gegen den Abbau der ambulanten Versorgung demonstriert. Sie
kritisieren, dass Politik und Krankenkassen die ambulante Versorgung austrocknen lassen.


Während Praxen und Apotheken ein Sparkurs aufgezwungen wird, verspricht die Politik den
Menschen in Deutschland immer mehr Leistungen. Dabei stehen den Heilberufen noch nicht
einmal genügend Finanzmittel und Ressourcen zur Verfügung, um überhaupt den gesetzlich
vorgeschriebenen Versorgungsumfang zu erfüllen. Eine überbordende Bürokratie und
Digitalisierung mit mangelhaften Produkten kosten zusätzlich Zeit, die für die
Patientenbehandlung fehlt. Schon heute fi nden viele Praxen keine Nachfolger oder Fachpersonal
mehr. Patienten müssen lange nach einem (Zahn-)Arzt suchen, der sie aufnimmt. Apotheken
schließen.

Sowohl die Thüringer Gesundheitsministerin Heike Werner als auch die gesundheitspolitischen
Sprecher aller Parteien im Thüringer Landtag haben sich dem Dialog gestellt. Die Vertreter der
Heilberufe und ihre Teams fordern ein sofortiges Umdenken der Politik und mehr Anerkennung,
denn die Zukunft der wohnortnahe ambulanten Versorgung der Patienten im Freistaat ist akut
bedroht.
Hannelore König, Präsidentin Verband medizinischer Fachberufe: „Die ambulante Versorgung
mit den mehr als 680.000 Beschäftigen in den Apotheken, Arzt- und Zahnarztpraxen – davon
allein 14.000 in Thüringen – wird von den politisch Verantwortlichen nicht wahrgenommen, weil sie bisher immer funktioniert hat. Jetzt hat sich die Situation geändert: Der Fachkräftemangel ist
deutlich spürbar, die Belastung der dort Beschäftigten und die chronische Unterfinanzierung des
Sektors hat ihre Grenzen erreicht. Statt Stärkung als Gesundheitsberufe gab es neue Spargesetze
und noch mehr Bürokratie. Ohne Unterstützung durch die Politikerauch in den Landesregierungen – wird sich das unmittelbar auf die Versorgung der Bevölkerung auswirken. Budgetierung gefährdet die ambulante Versorgung und Arbeitsplätze in den Teams der Apotheken, Arzt- und Zahnarztpraxen. Es geht nicht um Almosen, sondern um eine gerechte Entlohnung großartiger Leistungen.“

Dr. med. Ulf Zitterbart, Vorsitzender des Thüringer Hausärzteverbandes: „In Gera und Umgebung erleben wir bereits jetzt, bei 14 fehlenden Hausärztinnen, wie Menschen verzweifelt
nach ärztlichem Beistand suchen. 14 fehlende Ärzt*innen bedeuten dort für etwa 22.400
Menschen keinen Anlaufpunkt für akute und chronische Beschwerden im hausärztlichen Bereich
zu haben. Wo sonst Hilfe geleistet wird, erfolgen nun Notversorgung, rettungsdienstliche Einsätze oder Zuweisung in überfüllte Krankenhäuser. Wir fordern ein Umdenken der Politik mit Förderung der ambulanten Praxis-Teams, eine am Bedarf orientierte Steuerung der Versorgung und die stärkere Orientierung auf gesundheitliche Primärversorgung.“

Stefan Fink, Vorsitzender Thüringer Apothekerverband: „Die wirtschaftliche Lage vieler
Apotheken ist aufgrund der seit zehn Jahren unterlassenen Honoraranpassungen durch die
Politik, des Betriebskostenanstieges und der Erhöhung des Apothekenabschlages in 2023
katastrophal. Ein Drittel der Apotheken sind Stand heute in ihrem Bestand wirtschaftlich
gefährdet. Elf Prozent schreiben sogar rote Zahlen und sind in ihrer Existenz akut bedroht. Wir
fordern eine entsprechende Erhöhung unserer Honorierung für eine auskömmliche Vergütung
unserer Leistungen!“


Dr. med. Sabine Köhler, Vorsitzende Gemeinschaft Gebietsärztliche Berufsverbände
Thüringen:
„ Vor einem Jahr haben wir schon einmal die Sorgen und Nöte der Ärzte, Zahnärzte,
Psychotherapeuten und Apotheker vor den Thüringer Landtag gebracht. Getan hat sich seitdem
nichts. Während wir weiter auf die neue Niederlassungsförderung des Landes warten, verschärfen sich die Versorgungsprobleme. Das Sterben von Apotheken und Praxen nimmt zu. Nehmen Sie endlich unsere Probleme ernst. Unterstützen Sie uns beim Erhalt und der Weiterentwicklung tragfähiger Versorgungsstrukturen durch Vertragsärzte, Zahnärzte und Apotheker mit ihren Teams! Sonst droht ein Gesundheitskollaps in Thüringen.“

Dr. med. Denise Lundershausen, stellvertretende Vorsitzende Gemeinschaft
Gebietsärztliche Berufsverbände Thüringen: „ Die Zahl off ener Arztsitze in Thüringen zeigt: Es
ist weit nach 12! Wenn sich junge Mediziner nicht mehr für die Niederlassung interessieren,
stimmen die Rahmenbedingungen nicht. Wer geht schon noch das finanzielle Risiko einer eigenen
Niederlassung ein, wenn es keine klare finanzielle Grundlage mehr gibt? Der Kostenanstieg in den Praxen hat die Entwicklung der Verbraucherpreise in den letzten Jahren um das Dreifache
überschritten. Die Bürokratie nimmt zu. Digitale Anwendungen erschweren die Arbeit, statt sie zu erleichtern. Niederlassung muss wieder einfacher werden, wenn wir Nachwuchs für unsere Praxen gewinnen möchten. 18 Millionen Behandlungsfälle allein in Thüringen pro Jahr zeigen: Ohne die wohnortnahen ambulanten Praxen bricht die Gesundheitsversorgung zusammen.“

Dr. med. dent. Knut Karst, Vorsitzender Kassenzahnärztliche Vereinigung Thüringen, und Dr.
med. dent. Christian Junge
, Präsident Landeszahnärztekammer Thüringen: „„In Thüringen ist
die flächendeckende zahnärztliche Versorgung ernsthaft gefährdet. Jährlich gehen 50 bis 70
Zahnärzte ohne Nachfolger aus der Versorgung. Für ihre Patienten heißt dies, eine Betreuung in
den übrigen schon überfüllten Praxen zu organisieren. Bei einem Betreuungsschlüssel von 1.600
Patienten pro Zahnarzt betrifft dies bis zu 100.000 Patienten jedes Jahr, welche plötzlich keinen
Zahnarzt mehr haben.

Dies stellt kein einmaliges Ereignis dar, da schon mehr als 500 unserer 1500 Kolleginnen und Kollegen das. 60 Lebensjahr überschritten haben. Dem gegenüber stehen weniger als 600 unter 55 Jahren, welche die Versorgung in Zukunft allein stemmen sollen? Damit ist klar, dass es sich nicht mehr nur um wohnortnahe Versorgung in ländlichen Gebieten handelt. Das Praxissterben wird auch in den Städten ankommen. Zusätzlich schwächt das verantwortungslose Kaputtsparen sogar bei dringend notwendigen Behandlungen die Thüringer Zahnarztpraxen. Aber nur wenn unsere Praxen attraktive Arbeitgeber bleiben, hat unser gut ausgebildetes und motiviertes Assistenzpersonal eine sichere Zukunftsperspektive hier im Land.“

Ronald Schreiber, Präsident der Landesapothekerkammer Thüringen: „Die Lieferengpässe
bei lebensnotwendigen Arzneimitteln in ganz unterschiedlichen Indikationsgruppen sind nach wie vor besorgniserregend und werden sich im kommenden Herbst und Winter noch verschärfen. Die Politik muss endlich wirksame Maßnahmen veranlassen, um diesem Notstand entgegenzutreten! Erheblich erschwert wird das Management der Lieferengpässe durch den dramatischen Personalmangel in den Apotheken. Dieser trägt neben der massiven staatlichen Unterfinanzierung der öffentlichen Apotheken erheblich zu einem fortschreitenden Apothekensterben in Deutschland bei. Wir fordern eine deutliche Erhöhung der Studienplatzkapazitäten an der Friedrich-Schiller-Universität Jena für Apotheker und der Ausbildungskapazitäten für Pharmazeutische Technische Assistenten!“

Gesundheitskollaps ist eine gemeinsame Initiative der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten,Apotheker und deren Teams in Thüringen.