Seit Dezember 2020 sind Friseure in Deutschland wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Der harte Corona-Lockdown in Deutschland ist bis zum 7. März 2021 verlängert – allerdings ab 1. März sollen Friseure unter Hygieneauflagen wieder aufmachen dürfen. „Viel zu früh“, sagen die Einen,  „Wird auch endlich Zeit“, sagen die Anderen. Der Zeitgut Verlag hat  in seinem Archiv gestöbert und authentische Geschichten zum Thema Frisur und Friseur gefunden.

Von Trümmerfrauen und Dauerwelle

Tante Kathi war eine klassische Trümmerfrau. Sie trug jahrelang ein Kopftuch, das sie von
hinten nach vorne über dem Kopf zuknotete. Mit diesem Outfit gehörte sie einfach dazu.
Rissig ihre Hände, schmal ihr Mund und der Rücken tat immer weh. Giftige Blicke hin zu den Frauen mit kleinen Kindern, die keine Trümmerfrauen sein „mussten“, weil sie die Kleinen stillten. So jedenfalls hieß die offizielle Version.

In Bonn hatte es auch Bomben gehagelt, vor allem in jenem Oktober 1944 am helllichten
Tag. Die Altstadt war weg, in der Stadtmitte, am Friedensplatz, hatte es viele Opfer gegeben. In unserer Gegend war jedes zweite oder dritte Haus getroffen worden. Zuerst wurde nur ein kleiner Durchgang für die Straße freigelegt; noch Jahre später hörte man sie klopfen und fegen, sorgsam jeden Stein behandeln, sortieren nach Größe und Haltbarkeit. Eine
Staubwolke lag über den Sonder-Baustellen, wo Trümmerfrauen die alten Steine für
neu geplante Häuser sachkundig von Hand bearbeiteten. Aber schließlich kam so etwas wie Ordnung in die „Baustellen“. Und da galt es aufzupassen, dass niemand die besten Steine klaute. Denn Reparaturen waren mehr oder weniger fast überall notwendig geworden. Tante Kathi stand nicht selten Wache, um die sauber geschichteten Steine vor räuberischen Übergriffen gewisser Nachbarn zu bewachen.

Dann gab es Ärger und laute Schimpfereien. Mancher Streit sollte Jahrzehnte halten.
Nachbarschaftskrach als Kriegserbe! Eines Tages kam eine schicke Frau durch die Türe: frisch dauergewelltes, glänzendes dunkelbraunes Haar, strahlende Augen, ein neuer Rock und sogar Nylonstrümpfe an den zarten Beinen und, oh Sünde, mit Lippenstift!

Doch als diese „fremde“ Frau den Mund aufmachte, war allen klar, dass das nur Tante Kathi sein konnte. Noch nie hatten wir Kinder sie ohne ihr Trümmertuch gesehen. Nun machten sich Schönheit und Wohlstand breit. Dauerwellen waren groß in Mode.

Strähniges Haar war verpönt. Also machten wir Kinder uns auch auf den Weg zum Friseur und wollten eine Dauerwelle statt der Zöpfe. Der Friseur aber wies uns entsetzt zurück, da sollten wir erst einmal die Mutter fragen, und außerdem sei das zu teuer. Erschrocken sahen wir auf die Frauen in den Friseursesseln mit den vielen winzigen Röllchen auf den Köpfen, atmeten einen entsetzlich bissigen Gestank im Raum, dass uns die Augen tränten. Das also musste man „erleiden“, um dauergewellte Haare zu bekommen! Nein danke.

Phantasievoll änderten wir unsere ewig langgeflochtenen Zöpfe in Schnecken über den
Ohren oder als Kranz um den Kopf. Einfach war das auch nicht, aber wir halfen uns dabei
gegenseitig. Ein neues Outfit auch für die heranwachsenden Mädchen der frühen fünfziger
Jahre. Schließlich war Bonn die Bundeshauptstadt, wo Staatsbesucher wie Könige und
Prinzen eintrafen. Da musste man schick sein!

Und noch etwas Positives hatte die neue Jungmädchen-Frisur: Dass nämlich die Jungen uns in der Schule nicht mehr die Zöpfe an den Stuhl festbinden konnten. Unsere erste Dauerwelle kam dann zur Tanzschulzeit, als die pickeligen Jünglinge noch
lernen mussten, wie man einen richtigen Handkuss haucht, und wir Mädchen uns mit Mutters Parfum in eine lustvolle Duftwolke hüllten.

Anleitung zur Handhabung der Wickler für die Dauerwelle. Erfunden wurde die Methode 1906 von dem deutschen Frisör Karl Nessler (1872–1951), der sie 1908 in London patentieren ließ. 1914 mußte Nessler England verlassen und wanderte in die USA aus, wo er mit seiner Erfindung ein großes Frisör-Unternehmen mit zeitweise mehreren hundert Angestellten betrieb. Bei dem chemischen Umformungsprozeß wurden glatte Haare früher unter Hitze gewellt oder gelockt, seit 1947 ist die Kalt-Dauerwelle üblich.
Grafik: Frisör-Museum Heinz Zopf, Eckernförde


Während Tante Kathi, rechts, und viele andere Frauen beim Friseur die Dauerwelle „erlitten“, trugen wir Mädchen (links, das bin ich) von nun an die Haare in neuer Flechtform rund um den Kopf. Eine Aufnahme von unserer ersten Ferienreise ins nahe Hunsrück 1952. Dorothea F. Voigtländer

Bild: Zeitgut Verlag / Dorothea Voigtländer

„Schlüssel-Kinder“
Kindheit in Deutschland 1950-1960

Reihe Zeitgut Band 6
336 Seiten, viele Abbildungen, Taschenbuch
ISBN 978-3-86614-156-8
Zeitgut Verlag, Berlin. www.zeitgut.com