Von Pfarrer Gregor Arndt
Die Inzidenzwerte sinken. Die Zeit der harten Regeln weicht einem weichen
Ermessensspielraum. Das ist die Zeit von Hoffnung und gegenseitigen Vorwürfen. Ein Blick auf die Fußball EM kann helfen: Schweden – Spanien: Die eine Mannschaft spielt und bestimmt die Ball-Kontakte, die andere verteidigt mit weit aufgestellter Spielerkette. Die einen unter uns meiden jede Nähe, egal ob 3 oder 3oo Inzidenzwert, die anderen unterschätzen die Pandemie und überschätzen ihre und der anderen Resistenz. Hier zeigt uns der Fußball, jeder Grundeinstellung gebührt Respekt und Anfrage zugleich. Jede Position kann von der anderen lernen. Eine Mannschaft, die nur verteidigt, schießt keine Tore; eine, die nur stürmt, schießt Tore, kassiert am Ende aber auch eine Packung.

Die einen unter uns müssen lernen, dass man bei einer Inzidenz von 5 beim Lüften eher an Schnupfen als an Corona erkrankt, die anderen, dass Maske tragen im Bus nicht nur Corona, sondern auch Schnupfen verhindert.

Katastrophen vereint Menschen, Normalität entzweit. In unserer auf Kritik gebürsteten
Gesellschaft bekennen die meisten, dass es ihnen gut geht und zugleich fühlen sich die
meisten irgendwie als Opfer. Unter irgendeiner Ungerechtigkeit leidet jeder. Die größte
Ungerechtigkeit dieser Tage ist die Fußball EM. 600 oder 6000 Fans in den Stadien einerseits; anderseits das Feilschen der verschiedensten Gruppen im Landratsamt um 10-er Personenpacks.

Die Welt ist bleibend ungerecht – und sei es beim Impfen. Und dennoch schaue ich Fußball und genieße das Tanzen am Ball. In diesen Tagen – auch im Schatten der
Pandemie – gilt es nicht Ungerechtigkeiten zu zählen, sondern für das Leben zu danken und zu genießen – und sei es beim Fußball. Der Spaß heute schafft die Motivation, morgen gegen alltägliche Ungerechtigkeiten anzugehen.

Dänemark – Belgien: Am Ende der ersten Halbzeit erleidet der Däne Erikson einen
Herzstillstand. Lange Pause – das Spiel geht weiter. Gott sei Dank – er lebt. Große Debatten über rechtes Verhalten von Presse, FIFA und Spielern. Ich meine: Alles Ablenkung und Verdrängung. Die EM bündelt in dieser Szene nach einem Jahr Pandemie eine Erkenntnis, die es gilt anzunehmen: Das Leben liegt nicht in unserer Hand. Streiten wir nicht, ob das Schicksal oder Fügung, Zufall oder Gottes Wille ist.

Das Kreuzzeichen vieler Spieler beim Betreten des Fußballfeldes hält den Himmel offen.
Einen gesegneten Sonntag!

Pfarrer Gregor Arndt