Thüringen ist ein schönes Land. Mensch und Natur wetteifern im Streben um Harmonie und bedienen sich hierfür ebenso verschiedener Ausdrucksformen, wie ihre eigene Kulturwerdung sie ihnen in die Wiege gelegt hat. Dahinein passt auch das Wahlergebnis zum Thüringer Landtag von vor 1 1⁄2 Jahren, welches nach den althergebrachten Deutungsmustern ja eine Handlungsunfähigkeit im Regierungsgeschäft zur Folge hätte haben müssen.
Das war bisher jedoch nicht der Fall. Der Grad der Zufriedenheit steht zumindest dem in zurückliegenden vermeintlich politisch stabileren Zeiten in nichts nach. Dass dennoch vom ideologischen Überbau des politischen Personals nach einer Revision des erteilten Handlungsauftrages gerufen, ja so getan wird, als habe man eben dieses dem Wählen versprechen müssen, ist für mich nicht nachzuvollziehen. Irgendwie erinnert dieses an bittere Sentenzen, welche Bertolt Brecht vor fast 70 Jahren zur Beschreibung des Verhältnisses von Volk und Regierung bemühte.
Der sich zeigende Mangel liegt einfach im Bild vom Menschen und im Selbstverständnis von Politik. Anstatt einem jeden per se es erst einmal zuzubilligen, dass er mit seinen Gaben und seinen Verschiedenheiten gleichermaßen seinen Beitrag am Gesamtaufbau des Guten einzubringen gedenkt, erleben die alten Feindbilder wieder fröhliche Restauration. Ob diese sich aus dem antiquierten Klassenkampfgeist oder dem neuen spießbürgerlichen Gehabe heraus zu begründen versuchen, ist schlussendlich unerheblich.
Von der Politik wünsche ich mir ein Wetteifern um gute Taten aus Vertrauen, wozu das eigene politische Selbstverständnis eine Hilfestellung leisten möge. Nur aus einer solchen Haltung heraus erwächst Aufbruch. Der Leitspruch des evangelischen Kirchentages von 1983 in Dresden lautete: Vertrauen wagen, damit wir leben können. In dieser Freiwerdung begründete sich die neue Freiheit von 1989.
Wenn der politische Betrieb auf der Landesebene es nicht bald versteht, hier zu einem grundlegenden Qualitätssprung zu kommen, dann macht er sich zunehmend selbst entbehrlich. Die angebotenen inhaltsleeren Feindseligkeiten reichen jedenfalls nicht mehr aus und sind längst keine Begründung für die Notwendigkeit von Neuwahlen. Mein gegenteiliger Wunsch ist vielmehr, dass sich aus den jetzigen Gegebenheiten ein ganzheitlicher qualitativer Wettbewerb entwickelt. Von dorther sind die schwierig erscheinenden Mehrheitsverhältnisse im Thüringer Landtag derzeit auch nicht als Mangel sondern als große Chance zu begreifen.
Dr. Werner Henning, Landrat