Die stehenden Zapfen einer Weißtanne: Die Zapfen zerfallen am Ast bis zur Spindel und geben den leichten Samen aus großer Höhe für den Windtransport frei. Foto: Karina Kahlert

Es mag für den Laien überraschend klingen, aber Bäume können wandern und damit ihr angestammtes Verbreitungsgebiet verlassen. Die Wanderung erfolgt durch die Verbreitung ihrer Früchte und Samen – gleichsam ihr „Geh-Werkzeug“. Darauf macht die Landesforstanstalt aufmerksam. Mit Hilfe von Computerprogrammen haben Schweizer Waldforscher die „Wandergeschwindigkeit“ verschiedener Baumarten simuliert. Je nach Art wandern Bäume 10 bis 1.000, im Durchschnitt 100 Meter pro Jahr. Baumarten mit schweren Samen, wie Buche oder Eiche, schaffen nur kurze Strecken, Fichte, Lärche, Tanne oder Birke können dank leichter und flugfähiger Samen größere Distanzen erreichen. Ein entscheidender Vorteil, wenn aufgrund des Klimawandels der aktuelle Standort etwa zu trocken oder zu heiß wird.

Natürliche Klimaschwankungen erlauben die „Baumwanderschaft“

Vor rund 11.500 Jahren -mit dem Ende der Eiszeit- war Deutschland, und damit auch Thüringen, noch weitgehend eis- und schneebedeckt sowie baumfrei. Mit den milderen Jahreszeiten, als Folge natürlicher Klimaschwankungen, wanderten z. B. Birke, Kiefer oder Eiche und später auch die Rotbuche aus eiszeitlichen Rückzugsräumen im Süden langsam immer weiter gen Norden. Die Klimaveränderung hat weitere Baumartenwanderungen veranlasst. So entstanden u. a. in Mitteldeutschland völlig neue Lebensräume und eine nahezu flächendeckende Waldbestockung. Aber auch der Mensch griff verstärkt in diese natürlichen Entwicklungen ein: Etwa die Römer, die vor ungefähr 2.000 Jahren begannen, die Esskastanie und die Walnuss im heutigen Deutschland einzubringen.

Wenn sich das Klima schneller ändert, als der Baum wandern kann

Insgesamt ist diese historische Entwicklung aber nicht vergleichbar mit dem heutigen, vom Menschen verursachten, Klimawandel: Temperaturveränderungen von mehreren Grad innerhalb von 50 bis 100 Jahren und häufige Witterungsextreme etwa lassen den Pflanzenarten eine ungenügende „Reisezeit“. Die Umweltbedingungen verändern sich so rasend schnell, dass die natürliche Wanderungsbewegung von Bäumen oder ganzen Wäldern viel zu langsam abläuft, um erfolgreich „mit eigenen Reisemitteln“ zu sein. Mehr noch: Die durch zivilisatorische Errungenschaften veränderte Kulturlandschaft „bremst“ die Wanderung von Baumarten weiter aus, weil Naturräume durch Siedlungen, Straßen und Äcker zerschnitten sind und natürliche Waldverjüngung nicht überall vorhanden bzw. möglich ist oder zugelassen werden kann.

Waldbesitzer und Förster als „Reisebegleiter“

Mit der verstärkten Einbringung vieler und bunt gemischter sowie klimastabiler Baumarten, sind Waldbesitzer und Förster, etwa im Rahmen des Waldumbaus, wahrscheinlich als Einzige in der Lage, das Ökosystem Wald in den nächsten Jahrzehnten stabil und weitgehend multifunktional zu halten. Denn die Simulationen zeigen noch ein weiteres auf: Einige Baumarten werden ohne Unterstützung von Waldbesitzern und Förstern ab Ende des Jahrhunderts in einen Wanderungsrückstand geraten, der erst nach mehreren Tausend Jahren ausgeglichen würde. Wenn überhaupt.