Klüschen Hagis. Tausende zieht es heute wieder zum Klüschen Hagis, wo die Männerwallfahrt zum 67. Mal stattfindet. Das Leitwort der diesjährigen Männerwallfahrt ist eine große Ermutigung aus dem Glauben und zum Glauben, die wir alle zurzeit sehr nötig haben, sagte Bischof Ulrich Neymeyr.
Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr:
Wir müssen all das erleben, was der Heilige Petrus Canisius, der der zweite Apostel der Deutschen genannt wird, schon im 16. Jahrhundert in seinem berühmten allgemeinen Gebet so beschrieben hat:
„Durch den Herrn Jesus wende ab, gnädigster Vater, gegenwärtige und zukünftige Gefahren, schädliche Empörungen, Kriegsrüstungen, Teuerung, Krankheiten und betrübte, armselige Zeiten.“
Drei Jahre lang hat die Corona-Pandemie nicht nur die Männerwallfahrt beherrscht, sondern sie hat viele Menschen die Gesundheit oder gar das Leben gekostet. Hier ist der Ort, um diese uns lieben Menschen der Schmerzhaften Mutter Gottes anzuvertrauen. Kriegsrüstungen erleben wir heute in einem Maße, das wir uns für Europa nicht mehr vorstellen konnten. Die Folgen der Teuerung, also der Inflation, betreffen uns alle. Und wir erleben Empörungen, nicht nur bei den Menschen, die sich aus Protest irgendwo festkleben, sondern auch durch heftige Debatten und Auseinandersetzungen, die nicht nur in Demonstrationen ihren Niederschlag finden, sondern auch in Debatten in Familien und Freundeskreisen, die bis zu Zerwürfnissen führen können.
„Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark!“
Diese Mahnungen des Apostels Paulus können uns auch heute eine Hilfe sein. Wir müssen als Deutsche immer wachsam sein gegenüber Ungeistern, für die unser Volk offensichtlich besonders anfällig ist. Die Welt hatte gehofft, dass nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs Antisemitismus und Antiziganismus in Deutschland für immer ausgerottet wären. Aber von der Verharmlosung des Holocaust ist es nur ein kurzer Weg über die Gutheißung des Holocaust bis hin zu seiner Wiederholung. Das müssen wir bei Anschlägen auf Synagogen in unserem Land erfahren. Und die emotionalen Reflexe, die es gegen die Sinti und Roma gab und gibt, die wie andere Ukrainerinnen und Ukrainer auch vor dem Krieg geflohen sind, haben gezeigt, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit noch lange nicht überwunden ist. Dies gilt natürlich auch für die Ablehnung, auf die viele Menschen stoßen, die eine anderen Hautfarbe oder ein anderes Aussehen haben. Selbst wenn sie hier in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Eltern von Kindern mit Behinderung hören immer wieder: „Das müsste doch heute nicht mehr sein.“ Für uns als Christen ist jeder Mensch zuerst und zunächst ein Geschöpf Gottes. Von ihm geschaffen und gewollt, sonst würde der Erdboden sich unter ihm auftun und er würde verschwinden. Das ist eine enorme Herausforderung, weil sie nicht nur zur Nächstenliebe mahnt, sondern auch zur Feindesliebe. Auch der Mensch, der ein Verbrechen begangen hat, und der nach den geltenden Gesetzen dafür bestraft wird, bleibt ein Mensch.
„Seid wachsam!“ ist Christenpflicht.
„Steht fest im Glauben!“ Das ist die Voraussetzung dieser Wachsamkeit. Wie kann man diesen festen Stand im Glauben erreichen? Einen Beitrag leisten Sie, in dem Sie heute zur Männerwallfahrt gekommen sind. Jedes Mal, wenn wir uns Zeit für Gott nehmen, leisten wir einen Beitrag zur Standfestigkeit unseres Glaubens, ob es der Besuch eines Gottesdienstes ist, ein persönliches Gebet oder die Sorge und Pflege eines Bildstocks, eines Kruzifixes, einer Kapelle oder eines Kalvarienbergs. Wir haben wahrlich genug Anlass zu beten:
„Durch den Herrn Jesus wende ab, gnädigster Vater, gegenwärtige und zukünftige Gefahren, schädliche Empörungen, Kriegsrüstungen, Teuerung, Krankheiten und betrübte, armselige Zeiten!“
Die Standfestigkeit im Glauben haben wir wohl fast alle von unseren Eltern oder Großeltern gelernt. Ich freue mich immer, wenn ich hier auf der Männerwallfahrt drei Generationen von Großvater, Sohn und Enkel sehe. Nicht nur die Mütter falten betend die Händchen der Kinder, sondern auch die Väter.
„Seid mutig!“ Es gehört zur Identität der heutigen Eichsfelder, dass sie stolz sind auf den Mut, den sie hatten, um der sozialistischen Diktatur zu wiederstehen. Die Katholiken in der Diaspora, die oft auf sich allein gestellt waren, mussten noch mehr Mut aufbringen. Diesen Mut braucht es wieder. Keiner von Ihnen bekommt Probleme im Betrieb, wenn Sie sagen, dass Sie katholisch sind und dass Ihnen das auch etwas bedeutet. Kein Jugendlicher darf nicht studieren, weil er gefirmt worden ist. Sie haben keinerlei Nachteile zu erwarten dafür, dass Sie heute an der Männerwallfahrt oder wann anders an einer katholischen Prozession teilnehmen. Vielleicht gibt es kritische Nachfragen im Freundes- oder Kollegenkreis. Entweder antworten Sie dann schlagfertig oder mit einem persönlichen Glaubenszeugnis. Das wiederum braucht neben dem Mut auch Stärke.
Deswegen lautet die vierte Aufforderung des Apostels Paulus: „Seid stark!“ Es braucht tatsächlich Stärke, um angesichts der aktuellen Nachrichtenlage zur katholischen Kirche zu stehen. Im Missbrauchs- und Vertuschungsskandal gibt es überhaupt nichts schönzureden. Es sind Verbrechen in unserer Kirche geschehen. Wir sind keine Kirche aus Heiligen, ja, wir glauben, dass nur eine Heilige ohne Sünde war, nämlich die Gottesmutter Maria und wir haben in den Gefängnissen Seelsorger, weil in Gefängnissen Katholiken sind. Jetzt müssen wir hören, dass auch Priester Verbrechen begangen haben und dass diese nach Möglichkeit vertuscht wurden, um den schönen Schein des heiligen Priestertums und der heiligen Kirche zu wahren. Wir können das nicht leugnen, aber wir können darauf hinweisen, dass wir seit 20 Jahren dagegen vorgehen. Mühsam, langsam, weil wir Pionierarbeit leisten. Das hat noch keine Organisation in unserem Land gemacht: Klare Regeln, wie mit Beschuldigungen umgegangen wird. Aufarbeitung, soweit sie möglich ist und Prävention.
Viele Katholiken sind auch irritiert, weil vor allem in unserer katholischen Kirche in Deutschland offen und öffentlich über die richtigen Wege in die Zukunft gestritten wird. Es gibt irgendwie eine ideale Vorstellung, dass die Bischöfe immer einer Meinung seien. Das war noch nie so und das ist nicht so. In einer offenen Gesellschaft muss und kann man das nicht verbergen. Allerdings weise ich immer wieder darauf hin, dass über den Weg der katholischen Kirche nicht in Deutschland entschieden wird. Wir sind eine Weltkirche, die ja auch auf einem internationalen synodalen Weg unterwegs ist, mit zwei großen Weltsynoden in diesem Jahr im Herbst und im kommenden Jahr im Herbst. Hätte die katholische Kirche im Eichsfeld die Zeit der SED-Diktatur überlebt ohne die Einbindung in die Weltkirche? Ohne das Wissen der Mächtigen, dass eine weltumspannende Organisation hinter den Katholiken steht? Ohne die Unterstützung der Katholiken aus dem Westen? Diesen Schatz der Einheit mit der Weltkirche werde ich nicht aufgeben, auch wenn manches etwas länger dauert, weil bei manchem die katholische Kirche in anderen Ländern nicht mitgehen kann.
Gerade an Christi Himmelfahrt dürfen wir nicht vergessen, der auferstandene Herr Jesus Christus hat uns seine Kirche nicht einfach nur überlassen. Er hat uns seinen Beistand geschenkt, den Heiligen Geist. Er hilft uns das zu verwirklichen, wozu der Apostel Paulus mahnt: „Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark!“ (1 Kor 16,13).